Schon seit etwa zwei Jahren ist mir klar, dass ich Physik studieren möchte. Bei meinen Google Suchanfragen bin ich aber immer wieder auf Warnungen vor dem hohen Schwierigkeitsgrad gestoßen, wobei oft auf die hohe Abbrecher-Quote verwiesen wurde. Abgeschreckt hat mich das jedoch nicht, denn mein physikalischer Wissensdurst wartete darauf, gestillt zu werden. Mittlerweile bin ich mitten im Gewusel und finde mich mit einem komplizierten Verhältnis zur Physik wieder: Hassliebe
Wie alles begann
In der Mittelstufe war ich als ich das erste Mal den Film Interstellar gesehen habe und somit das erste Mal so richtig über komplexere physikalische Phänomene nachgedacht. “Wie kann es sein, dass Zeit anders vergeht, wenn man sich in der Nähe eines Schwarzen Lochs befindet? bzw. dass Zeit überhaupt anders vergehen kann?” war eine Frage über, die ich in den Wochen danach gerne gegrübelt habe und mit meinem Vater diskutiert habe. Ich steigerte mich immer mehr in ähnliche physikalische Themen hinein und wurde erst mit YouTube Videos und später mit Populärwissenschaftlicher Literatur, unter anderem von Stephen Hawking, beglückt. In der Schule hat mir allein durch das Interesse der Physikunterricht viel mehr Spaß gemacht, was sich auch in den Noten widergespiegelt hat, die in Mathe und Physik plötzlich besser geworden sind.
Irgendwann kam dann das Abi und 3 Monate später das erste Wintersemester. Bis dahin gab es Phasen, in denen ich mich mal mehr, mal weniger der physikalischen Welt gewidmet habe. Wenn ich sehr motiviert war las ich die legendären Feynman Lectures on Physics und wenn nicht, dann war es auch okay nur ein zweimal in der Woche im Physik Unterricht berieseln zu lassen.
Mit dem Start des Physikstudiums wurde dieses Interesse/Hobby aber mehr oder weniger zu meinem Vollzeitjob, was nicht immer das Beste ist, um die ursprüngliche Begeisterung aufrecht zu erhalten…
Der Hass in der Liebe
Ich glaube ich brauche nicht mehr groß auszuführen, inwiefern ich vor Allem im ersten Semester mit immensem Stress zu kämpfen hatte. Grund dafür ist die gefühlt unendliche Arbeit, die das Studium mit sich bringt, bzw. was es mit sich bringen kann. Schon bei den Ersti Veranstaltungen wurde auf die Frage ob man ab und zu am Wochenende eins trinken kann mit “Naja, das Physikstudium ist Arbeit, das wisst ihr…” geantwortet.
Dass das wahr ist wurde mir schnell klar, als die ersten Übungsblätter auf ihre Bearbeitung warteten. Hier einen gesunden Umgang zu finden muss erstmal gelernt werden. Dieser Prozess kann sehr wohl auf die Substanz gehen, wobei es auch kein Wunder ist, wenn dann Physik doch nicht mehr so viel Spaß macht, wenn man sich teilweise mehr als 8 Stunden am Tag damit herumschlägt oder nicht sogar teilweise quält.
Schuld dafür ist wahrscheinlich unter anderem das nicht besonders effiziente System Uni. Auch wenn ich mit der familiären Uni Bayreuth Glück habe ändert es nichts am Großen und Ganzen. One size fits all steht hier an der Tagesordnung. Es gibt eine Vorlesung und damit ein Tempo, ganz egal welche Themenbereiche dir leichter oder schwerer fallen. Hat man dann auch noch einen Prof, dessen Fähigkeiten der Wissensvermittlung eher rudimentär ausfallen, oder dessen Ansprüche in der Klausur deutlich überzogen sind, macht es das auch nicht gerade einfacher.
Fairer Weise muss ich aber sagen, dass es einige gute Seelen in der universitären Lehre gibt, die ihr ganzes Herzblut in ihre Arbeit stecken und einem sogar anbieten nicht nur in der Übung sondern auch zu jeder Zeit in deren Büro zu kommen, um sie mit Fragen zu durchlöchern.
Jedoch kommt es trotzdem immer Mal wieder vor, dass ich in einer Vorlesung oder vor Allem Übung sitze, in der mein Gehirn die einzige Aufgabe hat, den Text bzw. die Rechnung von der Tafel abzuschreiben. Danach bin ich meistens genauso schlau herausgekommen, wie ich hineingegangen bin und ich frage mich warum ich dafür jetzt anderthalb Stunden investiert habe, wenn ich jetzt eh nichts mitgenommen habe. Hier liegt es wahrscheinlich in der eigenen Verantwortung auch Mal bewusst Nein zu gewissen Veranstaltungen zu sagen, um sich Zeit zu sparen und damit letztendlich effizienter die universitäre Arbeit zu erledigen. Stattdessen kann man dann Ja zu den Dingen zu sagen, die einem sicherlich mehr Spaß machen und einem helfen wieder herunterzufahren. Sei es Zeit mit Freunden, Familie oder mit sich selbst. Diese Entscheidung zu treffen ist vielleicht essenziell, um nicht irgendwann einen Kollaps zu bekommen, was keine Seltenheit ist.
Fakt ist nämlich dass die Raten für psychische Diagnosen bei Studierenden im Schnitt deutlich höher sind als bei jungen Erwerbstätigen (siehe hier). Das muss nicht so sein und sollte auch nicht so sein. Natürlich muss man ab und zu Mal im Leben in den Arsch getreten werden, um ein bisschen voran zu kommen, aber das darf nicht Opfer wie Depressionen mit sich bringen. Das bringt am Ende keinem was und mir genügt schon alleine der “normale Struggle” an der Uni mit seinen Ups und Downs, der es mir auf jeden Fall nicht erleichtert, von meinem Studiengang komplett überzeugt zu sein. Die Welt um uns herum hat sich im letzten Jahrhundert stark verändert, wobei das Konzept der Lehre immer noch sehr ähnlich zu dem von vor 100 Jahren ist. Das System Uni ist also durchaus etwas in die Jahre gekommen, wobei aber die Mengen an Stoff durch den allgemeinen Wissenszuwachs erheblich gestiegen sind. Da wundern mich die langen Wartelisten bei psychologischen Einrichtungen nicht mehr besonders.
Dieses Problem stellt eine große Schattenseite der Uni dar, die oft unterschätzt wird und zu selten thematisiert wird. Das macht es für mich auch schwierig eine gesunde Beziehung mit jener Wissenschaft aufrecht zu erhalten, die mich einst komplett gefesselt hat.
Kann es dann noch Liebe geben?
Puh… Also nach diesen ganzen Aspekten könnte man meinen ist es quasi unmöglich in einem Liebesverhältnis mit der Physik zu stehen, aber vielleicht geht es doch. Schließlich studiere den Spaß ja noch, also muss es ja noch Gründe geben, die dem Obigen zumindest teilweise die Stirn bieten können.
Zu einem gewissen Teil sind die Argumente gegen dieses Studium die gleichen dafür. Manchmal ist es gerade der Reiz so oft wie möglich am Limit, also an den Grenzen des Kompetenzbereichs zu sein. Während man in der Schule vielleicht manchmal das Gefühl hatte nicht 100% geben zu müssen, um keine Probleme zu haben, ist das jetzt wahrscheinlich etwas anderes. Diese intellektuelle Herausforderung gibt einen gewissen Kick, vor Allem in dem Moment, in dem es Klick gemacht hat und man das Gefühl hat wieder ein Stückchen mehr von dieser Welt verstanden zu haben.
Um es subtil auszudrücken ist es einfach geil, Dingen auf den Grund zu gehen und sie zu verstehen. Jede Wissenschaft kann mit einer Brille verglichen werden, die jederzeit aufgesetzt und abgesetzt werden kann. In meinem Fall ist es die physikalische Brille, die ich mir gerne aufsetze, um die Welt mit diesen Gesetzmäßigkeiten zu sehen.
Letztens hatte ich außerdem in nicht komplett nüchternem Zustand eine interessante Begegnung auf der Toilette in der Uni, als ich einen höhersemestrigen Physikstudenten nach einer Weisheit für das Studium gefragt habe. Er sagte soweit ich mich erinnern kann: “Lerne den Schmerz zu Lieben”, was klar etwas überzogen, doch im Kern bestimmt wahr ist. Man wird in der Physik nicht besonders weit kommen, wenn man sich immer der ernsthaften Arbeit entzieht, wovon es in der in meinem Studium nun mal nicht zu wenig gibt. Manchmal muss man auch mal den harten Weg gehen und sich so lange hinsetzen, bis man das Konzept durchdrungen hat. Ob man das jetzt als “Schmerz” bezeichnet, ist dabei Geschmacksache. Jedenfalls ist man nach dem, was man alles im Physikstudium durchgemacht hat, einiges gewohnt und damit abgehärtet, was oft mit dem Wort “Durchhaltevermögen” beschrieben wird. Und schon jetzt sehe ich die Tendenz einer höheren Bereitschaft auch Mal länger an einem Problem zu knobeln, als es andere tun würden. Man könnte es als intellektuelle Überlegenheit bezeichnen, die einem immer Mal wieder vorteilhaft sein kann.
Eine weitere grundlegende Maxime in der Physik ist “Thinking by first principles”, was ich absolut Liebe und mir auch in jeglichen anderen Bereichen im Leben weiterhilft. Einfach so lange die Frage “Warum?” zu stellen bis es nicht mehr geht finde ich sehr faszinierend. In der Physik kommt man dann irgendwann an einen Punkt, an dem man nicht mehr die Frage “Warum?”, sondern nur noch die Frage “Wie?” beantworten kann. Bis man dort angekommen ist, gibt es jedoch einige Ebenen zu durchdringen. Etwas, dass niemand geringeres als Richard Feynman in diesem Interview humorvoll herüberbringt.
Summa Summarum
Die Warnungen vor dem Studium sind auf jeden Fall gerechtfertigt, keine Frage. Jedoch bin ich der Überzeugung, dass wenn man mit dem Gedanken spielt Physik zu studieren es einfach ausprobieren und keine Angst haben sollte. Definitiv wird man nicht das Gefühl haben, dass man ja etwas anderes machen könnte, was einen intellektuell deutlich mehr fordern würde.
Wenn einem bewusst ist, dass Mental Health Problems keine Seltenheit unter Studierenden sind, ist man auch schonmal einen Schritt weiter und achtet vielleicht etwas mehr auf seine psychische Gesundheit, was das Risiko unter solchen Problemen zu leiden senken dürfte.
Sobald man dann das erste Semester überlebt hat und immer noch ab und zu Freunde an der Physik (oder einer anderen Wissenschaft der Wahl) findet, ist im Studiengang auf jeden richtig aufgehoben. Zumindest beobachte ich das bei mir so. Selbst die Uni konnte meine Liebe zur Physik also nicht erlöschen.