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Freundschaft und Integration

Wie schnell fühlt man sich sozial angekommen?

Mittlerweile bin ich am Ende des ersten Monats Erasmus und habe viele Gefühlslagen durchlebt. Auch wenn ich krankheitsbedingt in den ersten Wochen etwas eingeschränkt war, konnte ich bei der Suche nach Freunden sowohl in der Erasmus Blase als auch unter den “Einheimischen” viel über mich selbst, Freundschaft und Soziales generell lernen.

Dabei lief vielleicht nicht alles so (schnell), wie ich es vorher erwartet hätte.

Soziale Festigung

Schon im letzten Blogpost habe ich angemerkt, dass es echt ziemlich leicht ist neue Leute im Erasmus kennenzulernen. Dabei beziehe ich mich vor allem auf andere Erasmus Studierende, da diese sowohl auf den dazugehörigen Veranstaltungen sind als auch Lust haben neue Kontakte zu knüpfen.

Jetzt wissen wir hoffentlich alle, dass noch ein nennenswerter Unterschied zwischen “Bekanntschaften” und “Freunden” liegt. Während die ersten Bekanntschaften schonmal dazu führen, dass man nicht alleine fühlt und man an vielen Abenden Spaß haben kann, sind sie doch nicht das, was uns am Ende des Tages erfüllt einschlafen lässt. So fühlte auch ich in den letzten Wochen manchmal, dass noch etwas fehlt, um sagen zu können: “Ich bin hier richtig angekommen”. Dazu sind dann wahrscheinlich dann doch tiefere Verbindungen nötig – Freundschaften – und diese entstehen eben nicht über Nacht.

Haben wir genug Gemeinsamkeiten?

Noch immer bin ich dabei herauszufinden, inwiefern Kompatibilität eine Rolle spielt bzw. inwiefern man einfach mit der Zeit und mit gemeinsamen Erlebnissen zusammenwächst.

In meiner entfernteren Vergangenheit hatte ich sowohl das eine, wie auch das andere. In manchen Fällen ist der Funke direkt übergesprungen und man konnte sich aus dem nichts 5 Stunden lange am Stück unterhalten. In anderen Freundschaften hat es einige Wochen oder sogar Monate gedauert, bis man ein enges Verhältnis hatte, welches deswegen aber nicht weniger stark war.

Ich frage mich, wie groß die Grundlegenden Gemeinsamkeiten überhaupt sein müssen, um eine Freundschaft zu bilden, denn man könnte sie ja auch in der Gegenwart schaffen. Ich denke die meisten von uns hatten im Leben schon zusammenschweißende Erlebnisse mit Menschen, bei denen man nicht dachte, dass man sich letztendlich so gut mit ihnen verstehen könnte.

Demnach frage ich mich hier im Erasmus mal wieder: Möchte ich eher mit den Menschen, die ich schon habe durch gemeinsame Erlebnisse eine tiefere Verbindung erschaffen, oder suche ich nicht doch nach anderen Menschen, mit denen ich von Grund auf mehr Gemeinsamkeiten habe?

Am Ende ist es wahrscheinlich natürlich wieder ein persönlicher Mittelweg, der hier an den Tag gelegt werden muss. Es schadet meiner Meinung nie, wenigstens offen für neue Bekanntschaften zu sein, wobei ich auch befürchte, dass man sich durchaus verlieren kann in einer nie endenden Suche nach dem “perfekten” Menschen, der aus hoffentlich offensichtlichen Gründen nicht existiert. Da ich mich als tendenziell perfektionistischen Menschen bezeichnen würde, muss ich mich schon ab und zu Mal daran erinnern, dass diese Art zu denken in Extremform bezüglich zwischenmenschlicher Beziehungen auch ungesund, sogar toxisch sein kann. Ich denke aber, dass auch wenn kein einzelner Mensch alle persönlichen Bedürfnisse befriedigen kann, es wahrscheinlich keine von Grund auf schlechte Eigenschaft ist, Ansprüche an sein soziales Umfeld zu haben, denn unsere Freunde definieren uns auch in gewisser Hinsicht.

Freundschaften sind ja in gewisser Hinsicht wie ein Spiegel, denn wenn man sich die Frage stellt “Mit welchen Menschen möchte ich befreundet sein?”, stellt man sich meiner Meinung nach zugleich die Frage “Was will ich generell im Leben?” und damit auch ganz generell “Wer bin ich?” – Ein ganz schönes Rabbit Hole also. Somit hängt der Erfolg der Freundessuche wohl auch davon ab, wie sehr man sich selbst kennt und somit weiß, was man in einer Freundschaft sucht.

Ich würde nicht sagen, dass ich von Anfang an diese Fragen perfekt beantworten konnte (dafür braucht es wohl sehr viel Zeit und Lebenserfahrung), doch ich muss sagen, dass die letzten Wochen mir geholfen haben der Beantwortung dieser Fragen näher zu kommen.

Wie äußert sich das in den ersten Erasmus Wochen?

Am Anfang fiel es mir nicht besonders leicht zu entscheiden, in welche Beziehungen ich mehr bzw. weniger Energie stecken möchte. Mein genereller Ansatz war, zunächst eher ein breites Spektrum an Menschen kennenzulernen. Ich wollte zunächst erkunden, bevor ich mich niederließ. Das war aber leichter gesagt als getan, da man ja generell dann doch gerne irgendwann tiefere Verbindungen eingehen will, die letztendlich dann auch erfüllender sind.

Zudem geht der noch so energieintensive Small Talk beim Aperitivo oft nicht wirklich in die Tiefe, bei der man einen Menschen so richtig kennenlernt. Man hat nur eine grobe Idee von dem, was hinter dem Gesicht steckt. Es ist also fast eher wie ein Social-Skill Training, nachdem man sich vor allem als tendenziell introvertierte Person ganz schön erschöpft fühlt und nicht zwangsweise mehr “Angekommen” als davor. Leider hatte man meistens auch nicht die Zeit die Person bis ins tiefste Detail kennenzulernen, weswegen sich man bei der Frage nach einer erneuten Kontaktaufnahme es wohl zu lernen gilt, auf sein Bauchgefühl des ersten Eindrucks zu vertrauen, was zugegebenermaßen nicht immer fair ist.

Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass es auch schön ist, an seinen Fähigkeiten, mit neuen Leuten zu reden zu arbeiten und hier auch Fortschritte zu sehen.

Leider habe ich das Gefühl, dass ich mir persönlich nicht besonders leicht tue Menschen mit ähnlichen Interessen und Erwartungen an die Zeit hier in Rom zu finden. Ich bin eben nicht der typische “Erasmus = Partysemester” Mensch. Ich mag es zwar bei guter Musik zu tanzen, möchte aber nicht aufgrund der Liederauswahl erst einen gewissen Alkoholpegel erreicht haben müssen, um genau das tun zu können. Leider ist die Mainstream Club Musik nicht jene, in der ich aufgehe und so kam ich nach ein paar der hochangepriesenen Partys zu der Erkenntnis, dass ich hier weder wirklich Spaß haben kann noch die Menschen treffen werde, die ähnlich denken.

Ich möchte lieber die Gegend, Natur und Gesellschaft kennenlernen, und nicht nur oberflächlich. Ich wünsche mir von diesem Semester und auch im Leben generell tiefe Einblicke und neue Erfahrungen, an denen ich wachse.

Um solchen Typ Mensch kennenzulernen, muss man vielleicht länger suchen. Es lohnt sich aber gleichzeitig auch wahrscheinlich sehr, darüber nachzudenken, an welchen Orten bzw. bei welchen Aktivitäten man diese Leute eher antreffen wird. Hier kann man sein Glück wirklich in die eigene Hand nehmen und muss nicht darauf hoffen, dass man zufälligerweise irgendwann irgendwo seinen Seelenverwandten findet.

Letztendlich möchte ich mir aber immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass ich nicht zu jedem Menschen in meinem Umfeld ein super tiefes und enges Verhältnis haben muss, um eine gute Zeit zu haben. So hatte ich in manchen Gruppenaktivitäten ein gewisses Gefühl von Vertrautheit auch ohne die Verbindung auf tiefen Ebenen mit jedem Teilnehmer.

Ich denke es wäre zu perfektionistisch und daher auch nicht gesund von jedem einzelnen Menschen im Umfeld eine Tiefe des Marianengrabens in der zwischenmenschlichen Beziehung zu erwarten.

Um am Ende nachhaltig zufrieden Einschlafen zu können ist wohl ein Mix aus tieferen und evtl. ein paar mehr lockeren Beziehungen nötig, für die man vor Allem dankbar ist.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich mich nach dem ersten Monat mit gemischten Gefühlen konfrontiere, wenn ich an die soziale Situation denke. Ich bin noch immer im Prozess des Aufbaus meines Umfelds und demnach sollte man auf jeden Fall nicht erwarten, dass das eine Sache ist, die nach einem Monat abgeschlossen ist. Ich würde dennoch sagen, dass eine immense Entwicklung in mir selbst stattgefunden hat, die die Suche nach den “richtigen” Menschen definitiv erleichtert. Dieser Erfolg hatte aber auch seinen Preis.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Meistens hört man vom Erasmus nur positives. An die negativen Aspekte will man sich ja auch meistens nicht erinnern. Das sorgt aber für ein verzerrtes Bild der Realität, wodurch man sich dann letztendlich vielleicht etwas allein mit seinen Problemen fühlt.

Außerdem denke ich, dass die harte Zeit bezüglich des sozialen Lebens eher den ersten Wochen zuzuschreiben ist und man sich am Ende gar nicht mehr so gut an die anfänglichen Schwierigkeiten erinnert.

Ich kann aber sagen, dass es zumindest für mich kein einfacher Spaziergang war und sich mein soziales Umfeld erst langsam so entwickelt, wie ich es mir wünsche. Aus Gesprächen mit anderen habe ich erfahren, dass ich damit nicht allein bin und sich viele an einem bestimmten Punkt etwas verloren bzw. unerfüllt fühlten.

Bei mir war das der Fall als die Euphorie des Neuanfangs vorüber ging und sich damit auch mal Gefühle des Zweifels und der Unzufriedenheit breit machten. Ich fühlte mich in letzter Zeit teilweise zunehmend gestresst, weil ich das Gefühl hatte, die Zeit nicht so zu verbringen, wie ich es gerne wollte, was zu einem großen Teil auch der unbefriedigenden sozialen Situation zu verdanken war.

Teilweise habe ich dann auch etwas an mir gezweifelt, ob ich denn nicht zu picky wäre, also zu hohe Ansprüche an mein soziales Umfeld hätte – vor Allem als ich nach einem knappen Monat “immer noch” das Gefühl hatte keinen festen Kreis von Menschen habe, mit denen ich die Erlebnisse haben kann, die ich mir wünsche.

Natürlich weiß ich rational, dass meine Gefühle berechtigt sind, weil sie das nun mal immer sind. Zudem ist mir klar, dass es unter meinen Umständen eher ungewöhnlich sei, überhaupt keine Momente der Einsamkeit zu erleben. Trotzdem sind diese Momente da und lassen einen das auch spüren.

Für mich war es hier wichtig, weiter an meine Wünsche und meine Strategie diese zu erfüllen, zu glauben und dementsprechend zu agieren (und nicht nur zu reagieren). Man muss wahrscheinlich mit der Zeit das Selbstbewusstsein entwickeln, dass der eigene Weg der persönlich Richtige sein kann, auch wenn andere jenen nicht nehmen und auch wenn man merkt, dass es ein steiniger Weg ist.

Konkret heißt das für mich trotz (bzw. eigentlich wegen) des Stresses noch weiterhin Energie in noch nicht so enge Kontakte zu stecken, die aber viel Potential haben. Also entschied ich mich solchen vielversprechenden Menschen zu schreiben, auch wenn ich das Gefühl habe, mit dem bereits vorhandenen Umfeld problemlos 7 Tage die Woche füllen zu können. Natürlich wollte ich gleichzeitig aber Gelegenheiten wahrnehmen, wenn nicht sogar selbst schaffen, mit Bedacht ausgewählte schon geschaffene Verbindungen zu stärken.

Das war mein Weg, mein Plan, von dem ich überzeugt war und von dem ich glaubte ihm nur lange genug folgen zu müssen, um am Ende das zu erreichen, was ich mir wünsche.

Im 21. Jahrhundert ist alles eine Frage von ein bisschen Gedanken machen, evtl. etwas zu recherchieren und jemandem etwas auf WhatsApp schreiben. Jedoch scheitert es oft an einem der Schritte, weil man entweder zu faul ist oder Angst hat, verurteilt bzw. zurückgewiesen zu werden. Das Schöne am Erasmus ist, dass letzteres schnell mit dem Argument, dass man die Person sonst wahrscheinlich eh kaum wieder sieht, gestochen werden kann.

Zudem schadet Geduld und Durchhaltevermögen nicht, was ich aber auch genau durch diesen ganzen teilweise unangenehmen Prozess gelernt habe.

Integration

Während man es in der Erasmus Bubble verhältnismäßig leicht hat auf Menschen zu treffen, die auch Lust haben, neue Leute kennenzulernen, ist das in der Uni nicht ganz so einfach. Der entscheidende Unterschied ist, dass hier schon Gruppen bestehen und natürlich auch die Sprachbarriere.

Im ersten Moment kommt es einem vielleicht oft so vor, als ob sich die anderen komplett nach außen abschließen. Die wenigsten kommen aus dem nichts daher und wollen einen in die Gruppe aufnehmen. Da muss man wohl mal wieder selbst sein Glück in die Hand nehmen und den Schritt auf eine andre Person zu machen. Am Ende sind ja die meisten Menschen cool drauf und wollen einen nicht aktiv ausschließen oder etwas anderes böses. Man muss nur etwas mehr Anfangsenergie hineinstecken.

An der Uni sind wir ja zudem junge Menschen und sollten ja noch am ehesten offen für neue Leute sein. Wenn man Glück hat, gerät man auch an jene Menschen, die besonders offen sind und einem die Gelegenheit bieten sich zu integrieren. Solche Menschen zu finden ist wohl nur mittels “Trial-and-Error” möglich. Es führt also Anfangs kaum ein Weg daran vorbei, sich für einen Moment aus der Komfort-Zone zu bewegen.

Es gibt aber definitiv Menschen, die daran interessiert sind, auch Menschen anderer Sprache und Kultur kennenzulernen. Selbst in der Physik habe ich sie gefunden und ich würde jetzt einfach mal behaupten, dass wir Physiker nicht unbedingt für solche Interessen bekannt sind.

Hier gilt es einfach wieder den Stein ins Rollen zu bringen und von einem Kontakt ausgehend weitere Kontakte zu knüpfen, sodass man im Hörsaal letztendlich nicht nur in fremde Gesichter blickt. So würde ich sagen, dass sich die Steinlawine bei mir langsam ins Rollen versetzt und ich bin sehr froh darüber.

Einheimische kennenzulernen ist der Endboss, aber hat man es einmal geschafft wird man auch auf einer anderen Ebene Erfahrungen sammeln können – haben sie gesagt.

So bemühe ich mich dann auch teilweise nach den offiziellen Vorlesungszeiten mich im “Klassenzimmer” aufzuhalten, wo zum Beispiel zusammen an der Tafel Übungsaufgaben gerechnet werden. Sich hier einzuklinken kann ich auf jeden Fall weiterempfehlen, da man recht leicht zusammen über etwas reden/diskutieren kann. Schritt für Schritt kann dann daraus eventuell mehr als nur eine fachliche Diskussion entstehen.

Endlosschleife

Dieser Blog Post ist ein wenig eine Versinnbildlichung von dem was in den letzten Wochen passiert ist. Irgendwie wiederholen sich die Gedanken immer wieder. Wie oben schon erwähnt geht es bei der Freundessuche auch sehr um einen selbst, weswegen ich mich immer wieder frage, was ich eigentlich möchte, und mache Erfahrungen, die mir helfen diese Frage zu beantworten.

Das ist aber auch irgendwie der Spirit im Erasmus – zumindest für mich. Man hat Zeit seine Persönlichkeit zu erforschen und weil Erkenntnisse auf Fehlern beruhen, ist es sehr praktisch jetzt die Luft zu haben genau diese Fehler zu machen.

So soll Versuch und Irrtum mir am Ende auch die Antworten auf meine Fragen geben, was wohl auch ein nie endender Prozess im Leben ist.

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