Die “Ewige Stadt” liegt mir zu Füßen, oder liege doch ich ihr zu Füßen?
Ich stürze mich jedenfalls hinein in das Erasmus Semester und sammle die ersten Eindrücke von einer Lebensphase, die ich so schnell nicht vergessen werde.
In die Hörsäle, Fertig, Los!
Es ist Montag, der 2. Oktober.
Lange habe ich auf diesen Moment gewartet: Die erste Woche italienische Uni.
Im fünften Semester sich nochmal wie ein Erstie zu fühlen ist schon irgendwie lustig, zugleich aber auch nicht verwunderlich. Man ist wahrscheinlich meistens ein wenig verloren, wenn man irgendwo seinen ersten Tag hat.
Wenigstens habe ich mich vorher über den Weg zur Fakultät mit den Öffis beim Welcome Office informiert und habe auch schon die Hörsäle ausgekundschaftet, in denen meine Kurse stattfinden. Dadurch war ich dann nicht ganz so Lost.
In meiner ersten italienischen Vorlesung war ich relativ weit hinten gesessen, was in Kombination mit der nicht besonders deutlichen Aussprache des Profs keine gute Idee war. Da habe ich schon erstmal ganz schön blöd geschaut. In der Zwischenpause habe ich mich dann aber überwunden mit den neben mir sitzenden Kontakt aufzunehmen. Dabei habe ich mit offenen Karten gespielt und gab offen zu, dass ich nicht wirklich was verstanden habe und habe um Hilfe gebeten.
Ich denke man trifft meistens auf hilfsbereite Menschen und so war es auch hier. Als ich nach der Vorlesung dann mit einem traurigen Welpenblick mitgeteilte, dass ich niemanden kenne und gefragt habe ob ich mit ihnen Mittagessen kann, waren sie auch sehr offen. Somit hatte ich meinen ersten Kontakt zu italienischen Kommiliton*innen, was ich persönlich sehr cool fand.
Fachlich gesehen war in der Vorlesung relativ viel verständlich, da es sich um eine mathematische Vorlesung handelte und die Mathematik eine universelle Sprache ist, die ich in meinem Studium schon gelernt habe. Zugleich waren mir auch die meisten vorgestellten Konzepte zum Glück bereits bekannt.
Am gleichen Tag besuchte ich dann noch eine andere Vorlesung, die dem Wahlbereich zuzuordnen ist. Es ging um Teilchenbeschleuniger, wobei ich erstaunt war, dass wir eine solche Anlage hier in der Nähe sogar besichtigen werden, was mein kleines Physikerherz höher hat schlagen lassen. Hier saß ich dann direkt vor dem Prof, wodurch ich erstaunlich viel verstehen konnte, auch wenn es meine hundertprozentige Konzentration erforderte. Solche kleinen Vorlesungen (Wir waren 4 Studierende!) finde ich besonders cool, da es viel familiärer ist und man auch hier seine Kommiliton*innen superschnell kennenlernt.
Mein erster Eindruck bezüglich der Art der italienischen Lehre ist, dass sie sich etwas zur Deutschen unterscheidet. So würde ich es in Italien eine Spur weit “verschulter” beschreiben. Die meisten Vorlesungen eines Jahrgangs finden im selben Raum statt, was dadurch etwas wie ein Klassenzimmer wirkt. Außerdem gibt es schon einen vorgefertigten Stundenplan, wodurch weniger Flexibilität geboten wird. Wenigstens gibt es keine Anwesenheitspflicht in meinen Modulen, was dann aber wiederum in manch anderen Studiengängen hier anders ist.
Natürlich ist es nörgeln auf hohem Niveau, denn als deutscher Student bin ich ein universitäres System gewöhnt, welches oft als besonders frei betitelt wird. Deswegen habe ich mich auch nicht erwartet, dass mich die Lehre komplett vom Hocker haut.
Was jedoch überall etwas anders ist, sind die Forschungsrichtungen, was auch die angebotenen Module vor Allem im Wahlbereich bzw. im Master beeinflusst. Hier fand ich persönlich das Angebot in der Physik ansprechender als in Bayreuth, weswegen ich mich dann auch doch noch für ein Modul aus dem Master (Astrobiology and Habitabilty) entschieden habe, welches ich in meiner Heimat vergeblich gesucht hätte.
An das allgemeine Prozedere und die Atmosphäre an der Uni ist man schließlich schnell gewöhnt, weil es sich ja dann doch nicht so dramatisch von daheim unterscheidet. Schließlich ist man ja noch in Europa.
Socialize
Neben den eben erwähnten Kontakten in der Uni trifft man sich ja auch vor Allem viel mit anderen Erasmus Studierenden. Bei uns gab es schon automatisch WhatsApp Gruppen, zu denen man per Mail eingeladen wurde, irgendwann nachdem man sich bei der italienischen Uni registriert hatte. Dadurch hatte man theoretisch die Möglichkeit mit über 500 Erasmus Studierenden in der Stadt Kontakt aufzunehmen. Neue Leute kennenzulernen ist also überhaupt nicht schwierig, denn in dieser Gruppe werden von einer Erasmus Organisation wirklich täglich irgendwelche Events angeboten. Sozial anzukommen ist demnach nichts, worum man sich sorgen muss, vor Allem weil eigentlich jeder auf der Suche nach Kontakten ist.
Ich entschied mich am Sonntag vor der ersten Woche zu fragen, ob wer Lust hätte in ein Museum zu gehen, weil sie an jedem ersten Sonntag im Monat kostenlos sind. Im Nachhinein wäre es vielleicht etwas schlauer gewesen zumindest fix zu machen, wo genau man hingeht. Das spart Kommunikationsarbeit. Am Ende war es eigentlich allen egal. Man wollte einfach Leute kennenlernen und dementsprechend schnell habe ich auch positive Rückmeldungen bekommen.
Theoretisch kann man sich mit der Wahl der Aktivität auch etwas mehr Gedanken machen und dadurch beeinflussen welche Art von Mensch man dann eher kennenlernen wird. Wenn man zum Beispiel gerne an der frischen Luft unterwegs ist, wird man wahrscheinlicher gleichgesinnte finden, wenn man sich für eine Outdoor-Aktivität (z.B. Wandern) verabredet.
Eine banale aber meiner Meinung wichtige Sache ist jedenfalls eine eigene WhatsApp Gruppe aufzumachen. Natürlich vereinfacht das die Kommunikation in dem Moment, aber vor Allem hat man dadurch einen Raum für zukünftige Unternehmungen geschaffen. Nur weil man zusammen in einer WhatsApp Gruppe ist, heißt es ja nicht, dass man das ganze Semester nur mit diesen Leuten abhängen darf, aber die Hemmschwelle in eine 5er Gruppe reinzuschreiben ist wahrscheinlich deutlich niedriger als in eine 500er Gruppe.
Die darauffolgenden Tage hat sich meine Gruppe auch irgendwie als sicherer Hafen etabliert, wodurch man sich schon deutlich weniger einsam in der Millionenmetropole fühlte. Schon am zweiten Abend in dieser Konstellation hatte ich ein Gefühl von Vertrautheit, was ich so schnell nicht erwartet hätte. Mein Fazit: Es lohnt sich absolut einmal kurz das Zepter in die Hand zu nehmen und eine gemeinsame Aktivität zu initiieren, da es der Ursprung vieler schöne Erlebnisse sein kann. Ich bin zumindest froh, genau das getan zu haben.
Trotzdem möchte man natürlich weiterhin offen für neue Kontakte sein. Hier bin ich manchmal ein wenig hin und hergerissen. Einerseits möchte ich die Menschen, die ich bereits getroffen habe, erst richtig kennenlernen, aber gleichzeitig gibt es ja andere coole Persönlichkeiten da draußen, mit denen man auf eine andere Art und Weise eine coole Zeit haben kann. Es ist nicht leicht da einen Mittelweg zu finden und jeder setzt da seine Priorität anders. Ich mag es eher mich mit vielen zu connecten, um meinen Horizont möglichst zu erweitern. Ich würde nämlich eher das Gefühl haben etwas zu verpassen, wenn ich ein halbes Jahr nur mit einer bestimmten Gruppe etwas unternehmen würde.
Für mich hat sich aber herausgestellt, dass man jeder Person eine zweite Chance geben sollte. Das zweite Treffen ist dann oft nochmal anders, bzw. lernt man eine Person dann oft nochmal von einer anderen Seite kennen. Ich denke am Ende kann man sich mit mehr Menschen gut verstehen, als man zunächst annehmen würde.
Günstig wird das nicht
Mein Pizzakonsum in den letzten Wochen seit ich in Italien bin ist rasant gestiegen. Momentan bin ich wahrscheinlich bei einem Durchschnitt von 3-4 Pizzen die Woche und alle zwei Tage Essen zu gehen geht ganz schön ins Geld. Es geht ja nicht nur um die Pizza, die Pasta oder was auch immer man isst. Es geht ja am Anfang vor Allem darum neue Leute kennenzulernen. Ich war nie ein großer Fan vom Essen gehen. Ich finde es persönlich viel cooler einfach zusammen zu kochen und so ein bisschen zu quatschen. Jedoch bietet es sich dann spontan doch recht häufig an, wenn man gerade zusammen in der Stadt ist, in ein Restaurant oder eine Bar zu pilgern. Vor Allem mit neuen Bekanntschaften.
Dann kommen noch die vielen Ausflugsziele um einen herum dazu, die es lohnt zu besichtigen. Solche Kurztrips macht man normalerweise auch nicht so oft, wie im Erasmus. Gefühlt sagt jeder, dass er momentan über seinem Budget lebt und meiner Meinung nach sollte man, solange man noch seine Rechnungen bezahlen kann, kein schlechtes Gewissen haben, temporär fürs Ausgehen oder Ausflüge mehr Geld auszugeben.
Jetzt die Freiheiten zu nutzen und in schöne Erinnerungen zu investieren (d.h. auch Fotos machen!) ist so wie ich das sehe alles andere als falsch. Häufig erwische ich mich dabei, wie ich ein wenig geizig bin und mich frage, ob das jetzt wirklich nötig ist oder ob ich das Geld nicht lieber sparen sollte. Aber für was spart man überhaupt?
Als Student für spätere Lebensphasen zu sparen, scheint mir sinnlos, da die 10€ die ich heute in der Hand habe mir mehr Freude bringen können als in 10 Jahren, wenn ich berufstätig bin. Wenn ich davor für irgendetwas gespart habe, dann für jetzt.
Das heißt nicht, dass man das Geld deswegen unnötig verprassen muss, aber mal ein kleines Beispiel: Der Unterschied zwischen “nicht Essen gehen” und “Essen gehen” ist deutlich größer als der zwischen einer Hauptspeise und einem 3-Gänge Menü – zumindest aus sozialer Sicht. Also entscheide ich mich dann doch essen zu gehen und nehme zur Not nur die Margherita und das Wasser. Dafür verbringe ich mehr gute Zeit mit Menschen, die ich dadurch näher kennenlernen kann.
Ähnliches gilt natürlich für den Kurztrip am Wochenende. Da setze ich mich lieber ein wenig länger in den Bus als den Zug zu nehmen und nehme ein günstigeres AirBnB oder Hostel, wodurch ich dann dafür im Zweifel mehrere Ausflüge machen kann. Außerdem werden auch von den Erasmus Organisationen preiswerte Trips angeboten, für die man sich aber rechtzeitig anmelden sollte.
Zugegebenermaßen bin auch noch dabei herauszufinden, an welchen Stellen im Erasmus sparen sinnvoll ist und wann nicht, was dann aber auch mal wieder eine ganz individuelle Entscheidung ist.
So. Viel. Freiheit.
Schon jetzt schätze und genieße ich die Freiheit, die mir zusteht.
Man kann sein Leben hier von Grund auf neu aufbauen und hat so viel Freiraum. Während mich so viel unverplante Zeit zu Hause teilweise überfordert, fühlt sich das hier viel besser an. Das liegt vielleicht daran, dass man so viele coole Möglichkeiten hat mit Gleichaltrigen eine gute Zeit zu haben, was es jetzt wohl gilt in vollen Zügen zu genießen.
Die verschiedenen täglichen Angebote können aber manchmal schon etwas überwältigend sein, wobei man schon mal FOMO (Fear Of Missing Out) kriegen kann. Vor allem wenn man mal ein wenig kränkelt, muss man sich etwas zurück nehmen, was bei dem tollen Angebot nicht leicht ist.
Am Ende ist es aber alles andere als hilfreich in einen Unternehmungs-Stress zu geraten, denn jede Party kommt so rüber als wäre sie besonders einzigartig. Wenn man den Beschreibungen Glauben schenken würde, müsste es 20 beste Partys im Semester geben und das ist halt einfach nicht möglich.
Nichtsdestotrotz fühle ich mich besonders wohl in dieser besonders ungebundenen Lebensphase und bin bis dato sehr glücklich mit der Entscheidung für das Auslandssemester.