honesty

Ehrlichkeit vs. Harmonie

“Hat jemand was dagegen?” – Keiner Meldet sich.

Viele würden sich bei einer Gruppenbesprechung, und manche selbst unter vier Augen nicht zu Wort melden, wenn sie etwas stört. Aber warum ist das so, wenn wir uns doch damit nur selbst betrügen?

Ich habe Erfahrungen gemacht, die mich wachgerüttelt haben, wenn es um Ehrlichkeit und dessen Antagonisten, die Harmonie, geht. Aber muss es wirklich immer ein Kampf zwischen den beiden sein, oder führt letztendlich Ehrlichkeit zu mehr Harmonie in unserem Leben?

Ehrlichkeit bei banalen Dingen

Sobald man mit irgendeinem Menschen länger zu tun hat, sei es Familie oder Freunde in der WG bzw. im Urlaub oder der/die Partner/in, kommt man zwangsweise früher oder später zu dem Punkt, dass einen etwas stört. Hier ist jetzt zu unterscheiden, ob diese Sache etwas ist, was einen irgendwie beeinflusst/beschäftigt oder sogar belastet – oder eben nicht. Wenn nicht dann heißt es wohl “Leben und leben lassen” und Ende der Geschichte (Auch für viele wahrscheinlich einfacher gesagt als getan aber darauf möchte ich jetzt nicht näher eingehen).

Sagen wir jetzt aber zum Beispiel der oder diejenige spült/wischt nicht ab, obwohl man das erwarten könnte, wenn man selbst schon das Kochen übernommen hat und das kam nicht nur einmal vor, was langsam wirklich nervt.

In dieser Situation gibt es nun zwei Möglichkeiten:

  1. Man spricht seine Erwartungen an und bittet den anderen diese Sache zu tun
  2. Man tut es nicht und macht’s selbst

Manche würden ohne mit der Wimper zu zucken Möglichkeit 1 wählen und die Sache direkt ansprechen, vor allem wenn man es gewohnt ist sich bei ihnen zu beschweren (bei Geschwistern zum Beispiel).

Viele Menschen und auch ich tendieren jedoch oft dazu nach Harmonie zu streben und entscheiden sich deshalb für Möglichkeit 2. Ich denke die meisten unter uns bevorzugen die Harmonie, weil man einfach nicht anecken will. Erst recht nicht bei so banalen Sachen, wie Abspülen oder den Tisch abwischen.

Wahrscheinlich hat das viel damit zu tun, wie man groß geworden ist bzw. erzogen wurde. In meiner Familie sehe ich auch häufig dieses Streben nach Harmonie, weswegen nicht zu wenige Dinge, wenn überhaupt nur indirekt angesprochen werden und anstatt den eigenen Kindern klare Aufgaben zu geben oder sie zu ermahnen, wird es dann noch einfach selbst gemacht und das Kind merkt nichts vom eigenen Ärger über die liegengebliebenen Kleidungsstücke im Wohnzimmer.

Man könnte denken, dass solche kleinen Dinge ja nicht von großer Bedeutung sein können, doch ich denke, dass sich da häufig etwas anstauen kann, was ganz schön auf den Gemütszustand geht. Wenn viele Kleinigkeiten nicht angesprochen werden und sich anhäufen, hegt man dann am Ende doch einen Groll auf die betroffene Person und kann am Ende gar nicht sagen warum, weil der Grund aus einem Gewusel von eintausend Dingen besteht. Das mag dann sogar so weit gehen, dass man beispielsweise keine Lust mehr auf seine/n Partner/in hat, was in einer Beziehung echt uncool ist.

Ich kenne den Struggle, wenn man nicht wie ein Alman rüberkommen möchte und deswegen einfach seine Schnauze hält, aber letztendlich ist man nicht nur unehrlich zu der anderen Person, sondern auch nicht ehrlich zu sich selbst. Wenn man sich hier in die andere Person hineinversetzt und überlegt, wie man selbst reagieren würde – Beispielsweise, wenn man darauf angesprochen wird ständig seine Sachen auf dem Klavier abzulegen und dass das Klavier keine Ablage ist, sondern ein Erbstück – dann wird man wahrscheinlich mehr als nur Verständnis haben und nicht böse auf den Kläger sein. Letztendlich will man als “Schuldiger” auch die Harmonie und tut das Entsprechende. (Analog gilt das natürlich für alle anderen Hausarbeiten oder sonst irgendetwas)

Man gibt der gegenüberstehenden Person die Möglichkeit etwas für einen zu tun und das erfüllt uns Menschen in der Regel. Es gibt uns selbst Glücksgefühle, wenn wir helfen können oder wenn wir merken, dass die andere Person über ihren Schatten gesprungen ist, um die Sache anzusprechen, also kann man diese umgekehrte Psychologie meiner Meinung nach auch auf diese Situation anwenden.

Es erfordert wahrscheinlich etwas Übung, bis man zu der Person wird, die sich in jeder Situation direkt für Möglichkeit 1 entscheidet und diese Ansprache auch so verpacken kann, ohne wie ein Spießer rüberzukommen, aber es ist meiner Meinung nach der beste Weg für einen gesunden langfristigen Umgang mit den Menschen um uns herum.

Zwischenmenschliche Reibereien

Wir alle kennen die Geschichten über zerstrittene Familien oder sind vielleicht selbst in einer bzw. merken gewisse Unstimmigkeiten. Der Grund für solch große Kluften ist meist nicht nur der Müll, der nicht herausgebracht wurde, sondern liegt tiefer.

Mutmaßlich fangen aber die meisten großen Streitereien bei kleinen Dingen an, die analog zu oben nicht direkt angesprochen werden.

Typisch ist der Fall “Schwiegermutter-Schwiegertochter”

Hier treffen zwei Familien mit unterschiedlichen Weltanschauungen aufeinander. Vor allem wenn es um das Kind bzw. Enkelkind geht können die Meinungen ganz schön auseinander gehen.

Junge Mütter sind oft besonders perfektionistisch beim ersten Kind, was natürlich verständlich ist, denn wer möchte nicht das Beste für sein Kind. Wenn es dann aber um Geschenke geht, wird es schwierig, vor allem wenn Dinge geschenkt werden, die man selbst aus irgendwelchen Gründen (persönlicher Geschmack, Belastung mit gesundheitsbedenklichen Stoffen bzw. chem. Verbindungen, etc.) nicht ausgesucht hätte.

Hier wäre ein potentieller Reibungspunkt, dass das Enkelkind nie mit den Dingen gesichtet wird, die man selbst geschenkt hat, was wie nichtvorhandene Dankbarkeit rüberkommen kann. Gleichzeitig kam aber auch kein Signal der anderen Seite von wegen: “Wir sind dankbar für alles, jedoch legen wir auch besonders viel Wert auf …”.

Das wäre ein Beispiel. Wenn dann noch unterschiedliche Ansichten über die Erziehung aufeinander treffen oder sich die Schwiegertochter der Schwiegermutter nach komisch verhält, oder sonst irgendwelche Sachen passieren (die Liste ist unendlich lang, hier kann der Kreativität freien Lauf gelassen werden) und nicht darüber gesprochen wird, dann ist es wie bei den banalen Dingen oben und es staut sich etwas an.

Gleiches gilt natürlich nicht nur für das Fallbeispiel “Schwiegermutter/-tochter”, sondern für jegliche andere zwischenmenschliche Beziehungen (Familie, freundschaftliche – und romantische Beziehungen) . Je enger, desto dramatischer kann es enden, wenn solche zwischenmenschliche Reibereien nicht direkt aus dem Weg geräumt werden. Hier appelliere ich, eigenständig das Fallbeispiel auf andere, eigene zwischenmenschliche Beziehungen zu übertragen.

Man ist wiedermal weder ehrlich zu sich selbst noch zu der anderen Partei und frisst es in sich hinein bzw. kotzt sich noch bei Familie/Freunden aus, was nur bedingt hilfreich ist. Dies könnte der Anfang vom Ende einer glücklichen Familie sein, wenn nicht endlich mal die Muse zusammengenommen wird und geredet wird. Es sind höchstwahrscheinlich nicht die einfachsten, aber vielleicht die wichtigsten Konversationen, die wir in unserem Leben führen.

Wenn es zu unangenehm ist, kann man ja noch einen Mittelsmann einschalten (im Fallbeispiel der Ehemann bzw. Sohn). Alles ist besser als den Berg an Beschwerden immer höher und die Kluft immer größer werden zu lassen, bis sich keine Brücke mehr bauen lässt.

Es geht letztendlich nur um die Gewohnheit, seine Probleme direkt anzusprechen und gleichzeitig um ein riesen (Familien-) Drama, was dadurch verhindert werden kann.

Ehrlichkeit zu sich selbst: Eine Anekdote aus meinem Leben

Ich möchte nochmal auf den schon beiläufig erwähnten Punkt “Ehrlichkeit zu sich selbst” eingehen, weil es eine Sache ist, mit der ich persönlich immer mal wieder zu kämpfen hatte, aber in letzter Zeit viel dazu lernen konnte. Deswegen eine kleine Anekdote aus meinem Leben. Vielleicht lernt man etwas daraus.

Man könnte behaupten ich bin ein Kopf-Mensch oder auch verkopft. Ich denke viel nach und das über alles und nicht selten zu viel. So erzähle ich mir selbst die Geschichte über eine Person die ich gerade erst kennen lernte und stellte mir in meinem Kopf vor, wie diese Geschichte wohl ausgehen wird. Wird es “nur” eine Freundschaft oder doch die Liebe des Lebens?

Schonmal vorweg: Bitte erzählt euch solche Geschichten nicht.

Jedenfalls war es bei mir so: Wenn ich mich einmal auf einen Weg eingeschossen hatte, so gab es kein Zurück und jede Situation wurde so ausgerichtet, dass sie zu der Geschichte passte inklusive der eigenen Gefühle. Doch dass sich Gefühle nicht erzwingen lassen, sollte allgemein bekannt sein und eigentlich habe ich das auch gewusst. Doch zwischen wissen und handeln ist eben ein Unterschied.

Eigentlich hätte der Moment kommen müssen, in dem ich mir eingestehe, dass die Gefühle nicht zu der Geschichte passen, die ich mir da erzähle. Das wäre Ehrlichkeit zu mir selbst gewesen.

Jedoch war da das Verlangen nach Harmonie und sich so etwas einzugestehen hieße die Harmonie mit der anderen Person zu stören, da es das Ende zumindest eines Teils der zwischenmenschlichen Beziehung bedeutete. So baute sich der Berg an Unbehagen immer weiter auf, wodurch mein Körper dauerhaft emotional gestresst war, doch der falsche Optimismus ließ die Hoffnung, dass es ja vielleicht doch klappen könnte nicht erlöschen.

Ich wartete viel zu lange und redete mir Gefühle weiterhin ein und hätte das wahrscheinlich noch weiterhin gemacht, wenn nicht die andere Person interveniert hätte und für ein klärendes Gespräch gesorgt hätte, in dem ich endlich ehrlich zu mir selbst und zu ihr sein konnte.

Als Happy End würde ich das nicht bezeichnen, da uns klar war, dass wir uns erstmal lieber nicht treffen, um das Gefühlskuddelmuddel zu entwirren und es dauerte, bis die Freundschaft wieder heilen konnte. Ich bin tiefer gefallen, als ich es hätte tun müssen und die Lösung lässt sich leicht sagen: Sei ehrlich zu dir selbst und zu anderen.

Das lässt sich natürlich auf alles übertragen, was wir tun. Zum Beispiel:

Bin ich mit meinem Beruf/Studium zufrieden?

Mag ich dieses Hobby überhaupt noch?

Für manche ist es second nature diese Fragen stets ehrlich zu sich selbst zu beantworten, aber für andere eben nicht. Ich würde mich auch eher zu den harmoniebedürftigeren Menschen zählen und tue mir auch eher schwer ehrlich zu mir selbst zu sein, wenn dadurch die Harmonie mit einem anderen Menschen scheinbar bedroht ist.

Im Osten war nicht alles schlecht

Man kann von der ehemaligen Sowjetunion halten was man möchte, aber manches kann man sich definitiv von der Mentalität des Ostblocks abschauen: Die Menschen waren tendenziell ehrlicher als im Westen.

Es war vor Allem das Regime, welches bei der Bevölkerung dazu geführt hatte, dass man seinem Umfeld vertrauen musste, was hundertprozentige Ehrlichkeit voraussetzte. Wer schonmal mit Menschen mit Wurzeln in der UdSSR zu tun hatte, mag diese Tendenz bestätigen und so tue das auch ich. Ich dachte mir zumindest “Davon möchte ich mir eine Scheibe abschneiden!”.

Diese Art mag zunächst etwas harsch herüberkommen, jedoch weiß man wo man steht und große Dramen, bei denen Menschen nicht mehr miteinander reden, können durch diese direkte Art im richtigen Moment vermieden werden.

So lasst uns alle ehrlicher zu uns selbst und zu den Menschen um uns herum, besonders zu denen die wir lieben, sein. Wenn es einmal die Gewohnheit ist, den Elefanten im Raum im Keim zu ersticken, lebt man wahrscheinlich deutlich friedlicher und problemloser.

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